#Waffenlieferungen an die Ukraine: Pro & Contra

Wer sich dazu bekennt, gegen die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine zu sein, hat es derzeit in der deutschen Öffentlichkeit nicht leicht. Und das, obwohl laut jüngsten Statistiken die Hälfte der deutschen Bevölkerung diese Meinung vertritt.
Alice Schwarzer, Herausgeberin der feministischen Zeitschrift EMMA, ist Initiatorin eines offenen Briefs an Olaf Scholz, in dem er aufgefordert wird, zu politscher Besonnenheit und militärischer Zurückhaltung zurückzufinden.
Mehr als 225.000-mal wurde die Petition bisher unterzeichnet (Stand 05.05.2022) Es mutet zynisch an, wenn die Deutschlandfunk-Journalistin Barbara Schmidt-Matern Schwarzer aufgrund ihrer Haltung in die Nähe der AfD rückt.
Der Schauspieler Edgar Selge, Erstunterzeichner dieses offenen Briefes, hat dem Tagesspiegel erläutert, dass wir nicht mehr über Waffenstillstand sprechen, sondern nur noch über Waffenlieferungen, die nicht durch politische Moral legitimierbar seien, da nur die deutsche Rüstungsindustrie von ihnen profitiere, nicht aber die Menschen in der Ukraine, für die ein baldiges Kriegsende überlebenswichtig sei.
Ukrainische Schriftsteller, Intellektuelle, Politiker und Diplomaten erklären derweil vollmundig, dass sich Deutschland bereits in einem Krieg mit Russland befände, dass sich der gesamte Westen in einem Dritten Weltkrieg befände. Sie schimpfen, mahnen, rügen, weil Deutschland ihrer Ansicht nach zu wenig tut – trotz massiver finanzieller und humanitärer Hilfe, trotz Waffenlieferungen, trotz der Unterstützung geflüchteter Menschen aus der Ukraine.
Auch Anne Will versucht in ihrer Talkshow, immer wieder Zweifel an der bislang vorsichtigen Politik des Kanzlers zu säen. Derweil benimmt sich die deutsche Außenministerin, als hätte ihre Partei nichts mit Pazifismus zu tun, und treibt mit ihren emotional aufgeladenen Reden die Bereitschaft an, den Krieg unendlich lange fortzusetzen.
Ich bin bereit, die Ukraine mit Taten, Worten und Geldspenden zu unterstützen. Ich bin für weitere und härtere Sanktionen gegen Russland. Aber ich lasse mir nicht einreden, dass sich Deutschland in einem Dritten Weltkrieg befände. Und ich bin strikt dagegen, es dem ukrainischen Diplomaten Melnyk gleichzutun und auf Diplomatie zu verzichten. Verhandlungen sind das einzige Mittel der Wahl, den Krieg zu beenden – zumal, wie Jürgen Habermas in der Süddeutschen Zeitung schreibt, „Kriege gegen eine Atommacht nicht mehr im herkömmlichen Sinne „gewonnen“ werden können.“
Ich schließe mich dem Fazit an, das Habermas aus seinen Abwägungen zieht: „Ich sehe keine überzeugende Rechtfertigung für die Forderung nach einer Politik, die – im peinigenden, immer unerträglicher werdenden Anblick der täglich qualvolleren Opfer – den gleichwohl gut begründeten Entschluss der Nichtbeteiligung an diesem Krieg de facto aufs Spiel setzt.“
Hier nun ein paar weitere Zitate aus diesem klugen, die Argumente beider Seiten abwägenden Aufsatz:
„Die Forderungen der unschuldig bedrängten Ukraine, die die politischen Fehleinschätzungen und falschen Weichenstellungen früherer Bundesregierungen umstandslos in moralische Erpressungen ummünzt, sind so verständlich, wie die Emotionen, das Mitgefühl und das Bedürfnis zu helfen, die sie bei uns allen auslösen, selbstverständlich sind.“
„Und doch irritiert mich die Selbstgewissheit, mit der in Deutschland die moralisch entrüsteten Ankläger gegen eine reflektiert und zurückhaltend verfahrende Bundesregierung auftreten.“
„Waffenlieferungen können offensichtlich den Verlauf eines Kampfes, den die Ukraine selbst um den Preis großer Opfer weiterzuführen ent-schlossen ist, günstig beeinflussen. Aber ist es nicht ein frommer Selbstbetrug, auf einen Sieg der Ukraine gegen die mörderische russische Kriegführung zu setzen, ohne selbst Waffen in die Hand zu nehmen?“
„Die kriegstreiberische Rhetorik verträgt sich schlecht mit der Zuschauerloge, aus der sie wortstark tönt. Denn sie entkräftet ja nicht die Unberechenbarkeit eines Gegners, der alles auf eine Karte setzen könnte. Tatsächlich hat die CIA während der letzten Wochen schon vor der aktuellen Gefahr sogenannter „kleiner“ Atomwaffen gewarnt (die offenbar nur deshalb entwickelt worden sind, um Kriege unter Atommächten wieder möglich zu machen).“
„Nachdem sich der Westen entschlossen hat, in diesen Konflikt nicht als Kriegspartei einzugreifen, gibt es eine Risikoschwelle, die ein ungebremstes Engagement für die Aufrüstung der Ukraine ausschließt.“
„Diese Debatte, die vor allem an Beispiele der erstaunlichen Konversion friedensbewegter Geister anknüpft, soll einen historischen Wandel der von rechts immer wieder denunzierten, tatsächlich schwer genug errungenen Nachkriegsmentalität der Deutschen ankündigen – und damit überhaupt das Ende eines auf Dialog und Friedenswahrung angelegten Modus der deutschen Politik.“
„Das erinnert auch an die zur Ikone gewordene Außenministerin, die unmittelbar nach Kriegsbeginn mit glaubwürdigen Gesten und einer bekenntnishaften Rhetorik der Erschütterung einen authentischen Ausdruck verliehen hat. Nicht als stünde sie damit nicht auch für das Mitgefühl und den Impuls zu helfen, die in unserer Bevölkerung allgemein verbreitet sind; aber sie hat darüber hinaus der spontanen Identifizierung mit dem ungestüm moralisierenden Drängen der zum Sieg entschlossenen ukrainischen Führung eine überzeugende Gestalt gegeben. Damit berühren wir den Kern des Konflikts zwischen denen, die empathisch, aber unvermittelt die Perspektive einer um ihre Freiheit, ihr Recht und ihr Leben kämpfenden Nation einnehmen, und denen, die aus den Erfahrungen des Kalten Krieges eine andere Lehre gezogen und – wie doch die auf unseren Straßen Protestierenden auch – eine andere Mentalität ausgebildet haben. Die einen können sich einen Krieg nur unter der Alternative von Sieg oder Niederlage vorstellen, die anderen wissen, dass Kriege gegen eine Atommacht nicht mehr im herkömmlichen Sinne „gewonnen“ werden können.“
„Ich sehe keine überzeugende Rechtfertigung für die Forderung nach einer Politik, die – im peinigenden, immer unerträglicher werdenden Anblick der täglich qualvolleren Opfer – den gleichwohl gut begründeten Entschluss der Nichtbeteiligung an diesem Krieg de facto aufs Spiel setzt.“
05. Mai. 2022

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